(V)erkannte Liebe
Ich erwarte, dass sich unsere Begegnung so gut anfühlen wird, wie beim letzten Mal und bin verunsichert, wenn sie das nicht tut. Warum erwarte ich das? Weil ich Angst habe, dass sie sich nicht wieder so anfühlen wird. Warum habe ich diese Angst? Weil ich „erkannt“ habe, dass die Begegnung mit dir toll ist, und nun glaube, dass sie ein Rezept für mich darstellt, mich (auf ewig) gut zu fühlen. Diese „Erkenntnis“ ist eine Fiktion. Angeheftet an diese Fiktion kommt die Angst. Drohender Verlust. Scheitern. Aber das Klammern an die Fiktion ist bereits der Verlust. Der Verlust der Leichtigkeit und des Mutes, für die Liebe zu kämpfen. Liebe gründet auf Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren kann. Es ist ein ehrlicher Kampf, sich niemals des Sieges gewiss. Die Fiktion loslassen, um wieder kämpfen zu können.
Ich wähle das endlose Suchen, die Ungewissheit, ob es dich gibt. Ich wähle die Liebe, die sich nicht fassen lässt, den Schmerz, den ich nicht verstehen kann, den Menschen, der heute lebt. Ich will dir begegnen, nicht dir deiner gewiss sein. Ich will dich spüren, nicht dich besitzen. Ich will mit dir Ringen, nicht mit dir im falschen Frieden verharren. Ich sage nicht „Ja“ zu dir, nur weil ich dir meine Liebe schreibe, sondern, wenn ich mich in einem Moment aufs Neue für dich als einen Teil von mir und für mich als einem Teil von dir aus ganzem Herzen entscheide. Diese Entscheidung bedeutet, dass ich die „erkannte“ Liebe beiseitelasse, meine Augen öffne und dich anschaue.
Jannik Howind, Witten 07.07.2022