Muss ich eine Erfahrung gemacht haben?
Es ist die Gesellschaft, die sagt, dass ich einmal im Leben die Erfahrung gemacht haben muss, mit einem Menschen als Partner zusammenzuleben und mindestens ein Kind zu bekommen. Aber was ist hier die Gesellschaft? Mit „die Gesellschaft“ sind hier all die Eindrücke von anderen Menschen und dem, was sie tun, gemeint, die ein Mensch hat. Diese Eindrücke hätten immer auch anders gewesen sein können. An einem anderen Ort, in einer anderen Zeit. So kommt ein Heranwachsender unter anderen zu diesem Schluss der notwendigen Erfahrung, der wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen mag. Diese Selbstverständlichkeit ist richtig, wenn man sich zuerst als Teil der Gesellschaft versteht. Wenn man sich jedoch zuerst als Mensch und damit meine ich als Teil des Lebens versteht, so fällt diese Selbstverständlichkeit in sich zusammen, weil es dann keine natürliche Ordnung gibt, der zu folgen wäre. Stattdessen entscheiden Menschen gemeinsam, welche Erfahrungen sie machen wollen. Basierend auf einer historisch gewachsenen Umgebung aber nicht ihr zum Zwang unterworfen.
Wenn du nun sagst: Mag sein, dass es keine notwendige Erfahrung gibt. Trotzdem möchte ich unbedingt diese eine Erfahrung machen. So stellt sich mir die Frage, woher dieser Wille kommt? Mein menschlicher Wille entsteht in der Begegnung mit meiner lebendigen Mitwelt, meinen Mitmenschen und Mit-Nichtmenschen. Was ich menschlich will, kann ich also nicht wissen, bevor es in dieser Begegnung entstanden ist.
Die Begegnung mit der Gesellschaft ist eine Begegnung mit dem, was ich in der Vergangenheit gesehen und gehört habe.
Jannik Howind, Roskilde 27.11.2022