Muss ich mich für die Rettung der Welt kaputt machen? Eine Antwort
Kann ich leben, wenn ich darauf vertrauen muss, dass alles gut wird? Kann ich leben, wenn ich alles auf eine Karte setze und mit allem eben auch den Sinn meines Lebens? Ist es mein Schicksal darauf zu hoffen oder auch meinen winzigen Beitrag dazu beizutragen, dass die Verhältnisse einmal so seien, dass ich sie gut nenne, dass ich so leben kann, wie ich leben will? Wieso kann ich nicht einfach leben und es ist gut? Wieso kann nicht alles erlaubt, alles gut sein? Manche Handlungen fühlen sich einfach nicht gut an, der Gedanke jemanden umzubringen, die eigenen Freunde für Geld zu verraten, ein vorbeilaufendes Kind zu treten? Aber ist der Ursprung dieses unguten Gefühls ein persönlicher oder liegt er in der Gesellschaft, in den über Jahrzehnte gewachsenen Verhaltensabsprachen, darüber was gut, was schlecht ist? Wenn der Ursprung des Gefühls nur darin läge, ist er dann nicht willkürlich und ich kann ihn verachtend verwerfen, über ihn hinwegschreiten? Aber wenn er nur in mir liegt, ist er dann nicht genauso willkürlich? Niemand außer mir selbst, würde merken, wenn ich mich nicht daran halte, es sei denn auch andere Menschen empfinden zufällig genauso bei demselben Handlungsgedanken. Und wenn alle Menschen so empfänden? Es gäbe dann ein uns allen gemeinsames Prinzip, einen unbedingt für jeden Menschen geltenden Wert, der darum jeden einzelnen von uns übersteigen muss.
Dieser Wert, der Ursprung meines Gefühls, meiner Revolte, er sagt mir, die Welt ist schlecht, er verkündet eine bessere, er lässt mich jene Handlungen als schlecht empfinden und andere als gut und ich vertraue ihm, weil er mit meinem Herzen spricht. Aber wenn er eine bessere Welt verkündet und ich Teil dieser Welt bin, bin ich dann mit ihr schlecht? Steht und fällt der Sinn meines Lebens mit dem Erfolg des Erreichens dieser besseren Welt? Oder reicht es für mein Heil, wenn ich dazu beitrage? Aber wie lässt sich dieses Beitragen anders bewerten, als am Enderfolg? Rechtfertigt und erzeugt erst der Erfolg das Gute und meinen individuellen Sinn?
Aber wie soll dieser Erfolg aussehen? Wie könnten wir ihn begreifen, selbst wenn er da wäre? Wir fühlen es, wir fühlen uns dann gut. Aber können wir das nicht jetzt schon? Wieso auf das Ende der Geschichte warten, wenn wir uns auch heute schon gut fühlen können? Ich fühle mich gut, wenn ich einem Menschen helfe, einem hungernden Kind Essen und Obdach gebe, soweit es in meinen Möglichkeiten steht, einen Menschen heile, einen Waldspaziergang mache, ein leckeres Gericht koche und am besten noch mit anderen den Genuss teile und ja ich fühle mich gut, wenn ich den Fluss neben meinem Haus sauber halte und meine Brotkrümel mit den Vögeln teile; wenn ich mit meinen Mitmenschen nur soviel Kohle abbaue, wie die Erde angemessen unserer Not verkraften kann, nur soviel Wald abholze, wie nachwachsen kann, nur so viele Rinder halte, wie ich mit tierwürdigen Mitteln kümmern und die der Boden verkraften kann.
Es mag das uns übersteigende Prinzip geben und die Beobachtung, dass ich und viele andere Menschen sich gut fühlen bei Handlungen, die nicht auf Zerstörung, nicht auf Trennung, Gewalt oder Rücksichtslosigkeit basieren, lässt in ihm eine Vernunft, einen Weltgeist vermuten. Aber was nützt jegliche Spekulation darüber, wo diese hinwill oder was dieser letztlich ist? Sie scheint mir nur gefährlich und abzulenken, von dieser so wichtigen Erkenntnis: Ich selbst bin verantwortlich für mein Leben und habe es in der eigenen Hand, mein Handeln, meine Praxis so zu entwickeln, dass es sich für mich gut anfühlt, dass ich mich selbst gut nenne. Und etwas, das gut werden kann, das kann unmöglich seinem Wesen nach schlecht sein. Alles Gewesene kann bejaht werden, die Welt kann nicht gerettet werden, weil sie gut ist und im Werden liegt es an mir, die Handlungen zu finden, die sich gut anfühlen, die ich Kraft all meines Wesens bejahen kann. Aber wie schwer wird es sein, solch eine Praxis auf der verunsicherten Seele und dem verführten Leib des Menschen zu errichten? Ein jeder ist sich sein eigenes Lebenswerk, also auf, geh es an, vergeude keinen Moment und schaffe! Gehe die schwerste Aufgabe an, die es gibt und schaffe dich selbst! Schaffe dich selbst, indem du die Handlungsgedanken folgst, die du Kraft deines ganzen Wesen bejahen kannst.
Die Welt muss nicht gerettet werden, ich muss mich selbst erschaffen.
Jannik Howind, Witten 01.12.2020