13. LENGERICH mai

20:57. Lengerich. An einem kleinen Bahnhof am Rande der längs verlaufenen Stadt. Letzte Wolken verfliegen im knallgelben Abendlicht. Der Omnibus steht im Stadtzentrum. Soeben erfuhr ich, dass unweit vom Bus eine Gemüsebowl auf mich wartet. 33 min Fußweg. Ich schaue mich vor dem Bahnhof nach einem Taxi um, aber dort, wo sie normalerweise stehen würden, stehen normale PKWs. In das vorderste steigt eine junge Frau. Ich frage nach den Taxis – die Fahrerin verneint –, ob sie ins Stadtzentrum fahren? – ebenfalls Nein, schönen Tag noch –, den Blick schon abgewandt. Mir rutscht ein „schade“ raus. Mal wieder kommt Kant um die Ecke und ermahnt mich, ob meiner Haltung, das Auto und die Fahrerin nur als Mittel für meinen Zweck, möglichst schnell zu meinem Essen und den anderen zu kommen, betrachtet zu haben. Ich gelobe Besserung: Bei weiblichen Menschen will ich mir bewusst sein, dass sie sich schneller bedroht fühlen könnten, oder bereits doofe Erfahrungen mit Männern gemacht haben und „kannst du dir vorstellen, mich ein Stück mitzunehmen?“ scheint mir die stimmigere Einstiegsfrage als, fahren Sie dahin, wo ich hinwill. Bevor ich zu viel Zeit verliere, laufe ich los und beginne meinen Daumen rauszuhalten. Es ist nach den letzten Nächten im Hotel und dem Anleiten eines Workshops wie das Umlegen eines Schalters. Nicht mehr alles hinterhergebracht bekommen und orientierungssuchend angeschaut werden, sondern bodenständig auf Menschen zugehen und schauen, wo ich mit einfachen Mitteln lande. Sei es zu Fuß oder eben durch Fragen.
10 min später an der Hauptstraße gibt ein älterer Vater (oder Opa) mit seinen fast ausgewachsenen Kindern im Auto ein Handzeichen, hält aber nicht am Busstreifen wenige Meter weiter rechts, wie von mir erwartet, sondern fährt weiter, dann leuchten die Rücklichter auf, er bremst und wendet in 150 Meter Entfernung an der Kreuzung. Kurz vor dem Busstreifen treffen wir uns an einer breiten Auffahrt. Wo ich hin will? Ins Stadtzentrum – Gräfin Anna heißt das Restaurant – Steig ein!
Er freut sich, dass noch jemand trampt, wie in seiner Jugend, das mache ja jetzt keiner mehr. Sofort entbrennt eine Diskussion, warum das so sei zwischen ihm und seinem Sohn auf den Vordersitzen. Dann das Deutsche-Bahn-Thema, weil ich erzähle, dass ich eine Stunde Verspätung hatte und deshalb gerade mein Essen kalt wird.
Ein Gutes hat es ja, dass die Bahn bei ihrem Versuch, die Menschen quer durch Deutschland zu verbinden, einen so schlechten Job macht, dass gerade diese Tatsache im Gespräch alle Menschen quer durch Deutschland verbindet. Vielleicht ist es tatsächlich das einzige Thema, das das noch vermag.
Kurze Zeit später sind wir da. Erst fällt mir über den Pflastersteinen der üppige Dorfkranz auf, dann erblicke ich zwischen kräftigen Bäumen, Kirchgemäuer und einem Torbogen den weißen Omnibus mit goldener Dachkrempe. Für direkte Demokratie? Gute Sache, vielleicht komme er die Tage vorbei, meint der Mensch, der mich mitgenommen hat. Wir verabschieden uns.
Im seichten Abendwind laufe ich beherzt auf das Restaurant und den Omnibus zu.