20. NACH SCHLOSS HAMBORN mai

Nach einem gemeinsamen Höhenflug komme ich langsam zur Landung. Das Unverhoffte hat stattgefunden. Schlag auf Schlag nahmen wir und auch ich im Wir Geschwindigkeit auf, Zutrauen entstand und Entscheidungsfreude bei gleichzeitigem Verlust für das Drumherum, also für meine alltäglichen, größeren Fragen und für die Menschen, die gerade nicht in dieser grünen Bildungsoase mit mir waren. Und dieser große Fokus auf den Moment, das Mitbekommen so vieler schöner und herzlicher Zufälle, die irgendwo keine Zufälle sind, weil das Festival durch seinen Aufbau und seine Art bestimmte Menschen angezogen hat, die gerade mit ähnlichen Fragen und mit ähnlichen Begriffen und Wahrnehmungen unterwegs sind, dieser große Fokus auf diesen langgezogenen Moment von drei Tagen, wo sich soviel gegenseitig stützte, wo sich Geist im anderen wiedererkannte, diese tiefe Aufmerksamkeit führte zu einem beinahe rauschhaften Zustand, der gepaart mit Gedanken von Schicksal drohte, in etwas überirdisches Abzudriften. Überirdisch in dem Sinne, dass ich den anderen Menschen nicht zuerst als physischen einzigartigen Körper, sondern als Geist und Seele, die ich auf ihrem Weg und in ihrer Kraft sind, wahrnehme, und denen ich helfen kann oder die mir Hilfe zuteilwerden lassen können, genau im richtigen Moment. Diese eigentlich schöne Erfahrung wird wahnhaft, wenn sie sich mit einer bestimmten Vorstellung des eigenen Schicksals vermischt, die einem durch eigene Gedanken und Zeichen oder von außen untergeschoben wird. Sich gegen diese Unterschiebungen abzugrenzen, nenne ich innere Abgrenzung. Sie ist nötig in Bezug auf das eigene Leben, den eigenen Willen und das eigene Ich als Ganzes, das immer ein zu werdendes und in seiner Form völlig einzigartig zu greifendes und gestaltendes ist. Die innere Abgrenzung ist z. B. nötig in Bezug auf eine entstehende Verbindung mit einem Menschen, in der man selbst oder andere von außen anfangen eine bestimmte Vorstellung zu sehen, z. B. eine romantische Beziehung. Diese Vorstellung kann sich dahingehend steigern, dass man auch die Handlungen und Gedanken des anderen Menschen, den man kennenlernen will, in diese Richtung deutet, nach entsprechenden Zeichen sucht und diese bestätigt findet. Das passiert zwangsweise, weil, wer mit Nachdruck sucht, auch unbedingt findet.

Es gibt so viele Zeichen und Ideen in dieser reizüberfluteten Welt. Sich gegen diese sinnlichen Reiz- und Erfahrungsfluten und auch Entscheidungsfluten abzugrenzen, nenne ich äußere Abgrenzung. Jetzt klingt Abgrenzung in manchen Ohren so negativ und das ist sie auch, wenn sie sich nur gegen etwas richtet und kein tieferes Ja dahintersteht, das die innere oder äußere Abgrenzung notwendig macht. Dieses innere Ja ist zuerst das Ja zu meinem ganz eigenen Weg, den ich tastend finde und mit Mut und Umsicht baue, aber eben auch zu den ganz eigenen Wegen all der anderen. Die höhere Orientierung ist dabei letztlich Freude, weil dieses Suchen und Versuchen und Bauen und Erfahren verdammt Spaß machen kann und umso mehr, je besser ich darin werde. Diese Freude kann ich nur empfinden, weil ich körperlich in der Welt bin, und so dienen all die unverhofften, schönen Begegnungen nicht einem höheren Zweck, sondern dem Zweck, der eben lautet: Freude haben an der Erfahrung, welcher Art sie auch sei.

Nun geht es weiter mit dem Omnibus für direkte Demokratie und der Frage, die Schwelle zum freien Erwachsensein zu gestalten.

 

Eine letzte Erkenntnis: Es kommt im Leben nicht darauf an, Zertifikate zu bekommen, große Jobs oder Stipendien bekommen zu haben. Es kommt darauf an, sich ernsthaft als einen Mensch zu begreifen, mit dem andere Menschen zusammenwirken können, wenn sie wollen und es kommt darauf an, andere Menschen ernsthaft als Menschen zu begreifen, mit denen ich zusammenwirken kann, wenn ich will. Die Konsequenz aus diesem Gedanken ist der Versuch, die Menschen zu finden, die gerade mit mir zusammenwirken wollen und mit denen ich gerade zusammenwirken will. Der Gedanke von Vorsprung und Nachsprung gegenüber anderen, von Ich oder Du wird aufgegeben. Nächster Schritt: Den Gedanken von Ich und Du als Denk-, Mund- und als Handwerk weiter üben. Und vor allem die Frage dahinter weiter üben und die Schönheit des Nein, ich will gerade nicht mit dir zusammenwirken, oder des Ja, ich will, spüren.