die anderen scheinen ja auch mit einverstanden zu sein
Werner liest eine Textpassage vor. Dabei fällt der Satz: „Die anderen scheinen ja auch mit einverstanden zu sein.“ Der Kontext ist der Fortentwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) und der Konsum von KI generierten Inhalten, wie Zeitungsartikel, Filme, Briefe usw. Der Satz übersteigt seinen Kontext vollkommen. Wenden wir ihn auf die Zeit des Nationalsozialismus an. Millionen Juden und andere Minderheiten werden deportiert und in Konzentrationslagern umgebracht. Die anderen scheinen ja auch mit einverstanden zu sein. Abscheulich. Oder auf den Umgang mit der Natur und mit nicht-menschlichem Leben. Laut greenpeace sterben täglich 130 bis 150 Arten aus.[1] Die anderen scheinen ja auch mit einverstanden zu sein. Laut terre des hommes wird jedes vierte Kind auf der Erde als chronisch unterernährt gezählt.[2] Lassen wir weitere Beispiele beiseite. Es ist offensichtlich, eine entscheidende Frage lautet, wie verhalte ich mich zu dieser Welt und wo ist mein Wirkbereich? Wo trage ich durch mein Verhalten oder Nicht-Verhalten zu etwas bei und wo liegt die Verantwortung in den Händen anderer Menschen? Diese Frage ist natürlich nicht ein für alle Mal und gar nicht so schnell zu beantworten. Schließlich machen wir Menschen Dinge zu unseren Angelegenheiten, wenn sie uns wichtig sind. Wir erschließen uns die Fähigkeiten zu wirken, wo wir vorher nichts bewirken konnten. Wo ist mein Wirkbereich? Wo trägt mein Verhalten zur Aufrechterhaltung von menschen- und lebensunwürdigen Zusammenhängen bei und wo nehme ich Handlungen und Entwicklungsmöglichkeiten wahr, die einen Unterschied machen könnten, hinzu menschen- und lebenswürdigeren Zusammenhängen? Wir stehen heutzutage vor dieser doppelten Frage, ob wir wollen oder nicht. Gehen wir der Frage aus dem Weg, so landen wir in einem schizophrenen Zustand, bei dem wir auf der einen Seite Verantwortung in einem Beruf oder in der Familie oder einer Gemeinschaft übernehmen und auf der anderen Seite in der Gesellschaft völlige Unverantwortung leben. Diese Unverantwortung ist kein Stempel von außen, sondern reiner Ausruf des eigenen Gewissens, das einen wissen lässt, dass man im Rahmen seiner Möglichkeiten gar nicht versucht hat, eine Antwort auf diese Frage, wie verhalte ich mich zu dieser Welt, zu finden. Hilfs- und Umweltorganisationen auf der Straße sind wie der kleine Stachel, der daran erinnert, dass diese Frage ungelöst ist, und tragen gleichzeitig zur Schizophrenie bei, indem sie sofort eine finanzielle Unterstützung fordern oder indem sie einen mit einem schlechten Gewissen zurücklassen. Nein, die Frage muss nicht sofort beantwortet werden, sie muss gründlich beantwortet werden. Und sie muss vereinfacht werden, ohne an Tiefe zu verlieren, sodass sich eines Tages ein Antwortverhältnis bilden kann, aus dem heraus Handlungen und Urteile in rascher Manier erwachsen können. Wir haben nicht die Zeit, uns für alle Angelegenheiten einzusetzen, aber wir können üben, zu erkennen, wo Menschen sich aufrichtig für eine Welt mit menschen- und lebenswürdigen Zusammenhängen einsetzen. Wir können geübter darin werden, spontan Wege zu finden, ihnen nach unseren Möglichkeiten Unterstützung zukommen zu lassen, und wir können lernen, dass wir mit diesem Anliegen einer menschen- und lebewesenswürdigen Welt und dem Willen, dafür Verantwortung zu übernehmen, nicht alleine sind.
Dieser Gedanke führt uns wieder zu den anderen. Ich weiß nicht, ob die anderen auch einverstanden sind, dass KIs immer mehr unsere sinnliche Lebenswelt bestimmt, dass damals ganze Bevölkerungsgruppen systematisch umgebracht wurden, dass wir heutzutage systematisch Tierarten umbringen, ich weiß nicht, ob die anderen einverstanden sind mit dem, was passiert. Ich muss es, wo die Frage drängt, herausfinden, und ich muss herausfinden, wie sie sich zu dieser Frage verhalten. Und indem wir uns gegenseitig diese Fragen stellen und uns dadurch Zeit geben, die wirklich wichtigen Fragen zu beantworten, unterstützen wir uns dabei, das Leben nicht nur einfach abzubekommen, sondern bewusst mitzugestalten und immer wieder ein selbstwirksames, verantwortendes Verhältnis zu ihm zu entwickeln. Werfen wir die Scheinwerfer auf den Schein und finden wir es heraus.
[1] https://www.greenpeace.de/…/artensterben. Welche Definition von Art greenpeace der Statistik zugrunde legt, wird nicht genannt. Ich gehe davon aus, dass sie die Definition der Fortpflanzungsgemeinschaft meinen.
[2] https://www.tdh.de/was-wir-tun/themen-a-z/hunger-und-ernaehrung/daten-und-fakten/.