Über den Egoismus, in Beziehungen auf sich selbst zu achten, der kein Egoismus ist
Ich sage: Die Beziehung zu dir ist es mir nicht wert, mich selbst zu verlieren und ein Leben zu leben, das ich eigentlich nicht gelebt haben will, dass ich nicht aus meinem tiefsten Gefühl heraus bejahen kann. Aber was ist diese Beziehung zu dir, die hier gemeint ist? Es ist die Vorstellung von etwas Festem, etwas für das wir beide arbeiten müssten, damit es unser bleibt. Ich präzisiere mich. Eine feste Beziehung um ihrer selbst willen, ist es mir nicht wert, mich selbst dabei zu verlieren. Egal wie lange wir schon zusammen sind, egal wie viele Kinder wir haben, egal wie viele Dinge wir teilen, egal wie viele Versprechungen wir uns schon gemacht haben. Egoismus? Nein, die Aussage gilt ja nur für den Fall, dass ich mit einer Vorstellung in einer romantischen, festen Beziehung stecke, die darauf aufbaut, dass ich diese Beziehung zu dir brauche, um ich selbst zu sein. Dieser Vorstellung will ich keine Macht geben. Wenn ich nach ihr handele, dann habe ich das Gefühl, mich von mir selbst zu entfernen. Ich habe das Gefühl, den Kontakt zu mir und zu dir zu verlieren, wie schön auch alles nach außen hin aussehen mag.
Wenn ich sage, meine höchste Priorität liegt darin, mich selbst zu finden, dann ist das kein Egoismus. Der Grund liegt darin, dass ich mich nur dann ein Stück finde, wenn ich mit den anderen Menschen und der Welt in Kontakt bin. Es ist also mein größtes Interesse mit anderen Menschen und der Welt in Beziehung zu treten und das gelingt mir nur, wenn ich mit mir selbst in Beziehung stehe, egal wie es nach außen hin aussehen mag. Ich trete mit mir in Kontakt, indem ich mit der Welt in Beziehung trete.
Wenn ich sage: Ich weiß gerade nicht was ich fühle, ich brauche Zeit, das für mich herauszufinden, dann drückt sich darin aus, dass ich unsere Beziehung wertschätze, indem ich versuchen will, ich selbst in ihr zu sein und dadurch die Begegnung von zwei erwachsenen Menschen zu ermöglichen. Wenn ich denke, nach bestimmten Normen oder Regeln handeln zu müssen, die nach außen hin aufopferungsvoll erscheinen, dann drücke ich gerade dadurch nicht die Wertschätzung für unsere Beziehung aus. Aus dem Grund, dass ich durch dieses Verhalten dazu beitrage, dass es eine tote Beziehung wird, dass wir nicht mehr ehrlich in Kontakt kommen können. Ich will mit DIR in Beziehung treten, nicht mit einem Menschen, der meint eine vordefinierte Rolle ausfüllen zu müssen, im Sinne eines höheren Guts: „Der festen, romantischen Beziehung“. Es gibt diese höhere Aufgabe, die wir erfüllen müssen, nicht. Es gibt nur zwei Menschen, die dadurch für einen Moment glücklich werden, dass sie als einzigartige Wesen für einen Moment oder auch eine Reihe von Momenten, die die Spanne eines Lebens umfassen können, in Berührung kommen. Ich will selbst nicht in der Beziehung zu dir ein Mensch sein, der meint, nach einer vordefinierten Rolle handeln zu müssen.
Ich sage: Du bist mir soviel wert, dass ich mit aller Kraft versuche, in der Beziehung zu dir in Berührung mit mir selbst zu sein, wo auch immer uns das hinführen mag.
Jannik Howind, Witten 06.03.2022