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Ich und Welt

Ich will mich der Welt zumuten. Ihr Urteil über mich ergehen lassen. Wenn ich in Gedanken über mich richte und nur das in die Welt gebe, was Ergebnis dieses Richtprozesses war, dann nehme ich der Welt die Chance, mir ihr Urteil entgegenzusetzen. Oder anders gesagt: Wenn ich sehr bedacht bin, keinen falschen Schritt zu tun, dann interessiert mich nur mein Urteil. Dein Blick, deine Hilfe sind mir egal, oder sie werden nur einbezogen in einen Prozess, über den ich die volle Kontrolle habe. Keine Macht aus der Hand gebend. Mich der Welt zuzumuten, bedeutet Kontrolle abzugeben. Es bedeutet, zu springen im Vertrauen, aufgefangen zu werden. Nur wer zulässt, dass eine ehrliche Rückmeldung kommt, wird eine bekommen können. Gehen wir den Weg gemeinsam? Nur das Herz kann diese Frage beantworten. Fühle ich mich als Teil der Welt? Fühle ich mich verbunden zu dir? Ja sagen, aber Nein fühlen. Was nützt jegliches Wissen oder großartige Urteil, wenn der Körper in Bewegungslosigkeit erstarrt? Es ist nicht die Aufgabe des Verstandes das Herz zu kontrollieren. Es ist nicht die Aufgabe des Verstandes, das Leben zu regeln. Das Leben regelt sich selbst. Wasser findet seinen Weg. Es findet ihn niemals allein, aber es ist auch niemals allein. Wir sind immer schon Teil der Welt. Weil es etwas anderes gibt, können wir etwas spüren. Ohne die Stimmen der Vögel, das Rauschen der Blätter, die Wärme der Sonne auf meiner Haut, würde auch ich nicht sein können.

Woher kommt die Angst, die Welt würde untergehen? Werden die Vögel nicht morgen wieder ihr Lied anstimmen? Wird die Sonne nicht morgen wieder aufgehen. Wird der Wind nicht morgen wieder aufbrausen? Woher kommt diese Angst? Sie kann nur daher kommen, dass wir den Blick verändert habe. Wir schauen auf tote Dinge. Berufsstellen im Räderwerk einer arbeitsamen Gesellschaft. Zahlen auf unseren Bankkonten. Freunde in unseren Netzwerken. Abschlüsse auf unserem Lebenslauf. Stellen können morgen untergehen. Zahlen können verschwinden. Freunde auch. Abschlüsse können ausbleiben. So dann sehen wir uns gefangen in einer Welt, in der es keine Sicherheit gibt, niemals geben kann, weil jede Sicherheit rein fiktiv ist, genauso wie die Begriffe, aus denen sie hervorgezogen werden soll. Zahlen sind leblos. Wer Freund und Feind ist, das definieren wir selbst. Wann bin ich sicher? Wenn ich so und so viele befreundete Menschen habe? Wenn eine bestimmte Menge an Geld auf meinem Konto liegt? Das Herz, das vom Verstand betört, sich an Abstraktionen klammert, wird niemals ruhig schlagen. Immer behält es in einem Teil die nagende Sorge nach dem Morgen. Als Stütze dienen beeindruckende Lebensläufe, Karrierenachahmungen und die ständige Absicherung, sozial akzeptiert zu sein. Der Versuch danach. Angst. Da ist so viel Angst. Lebewesen, die mit dem Durchtrennen der Nabelschnur der sie umsorgenden Welt entrissen wurden, die nie gelernt haben, dass die Nabelschnur nicht durchtrennt wurde. Aus dem Mutterleib wurde der Weltleib. Nichts Abgetrenntes, sondern etwas, an dessen Existenz man selbst fortan aktiv teilhat, ob man will oder nicht; wie der Mutterleib nicht Mutterleib ohne das Kind in ihm wäre. Und wie die Mutter dem in ihrem Schoß heranwachsenden Kind, das sie unweigerlich versorgt, nicht böse gesonnen sein kann, so ist auch die Welt den Lebewesen, die ihr Licht erblicken, nicht böse gesonnen. Bedingungslos dreht sich der Kreislauf des Lebens weiter. Das Auf- und Untergehen der Sonne gespiegelt vom Auf und Ab der Gezeiten und den weiten Reisen der Wassertropfen durch Wolken und Gebirge, durch Flüsse und Meere. Ich kann mich gegen diesen Kreislauf stellen. Kann ihn abstreiten. Kann vergessen, dass vor den Zahlen nur Wärme und Kälte, einzigartige Landschaften und Lebewesen waren. Sinneseindrücke, die mich in ihren Bann ziehen. Worauf soll ich meinen Blick richten, fragst du. Aber dass du ständig nach einem Sollen, nach einer Richtschnur fragst, fällt dir nicht auf. Sodann richte den Blick auf all das, was dir hilft, zu verlernen, dass dein Leben einem Zweck dienen muss, um gelebt werden zu dürfen. Alles kann in deinem Kopf zur Richtschnur werden. Aber glaubst du wirklich, dass das Leben scheitern kann? Man kann nicht nicht leben. Man kann nicht nicht teilhaben an der Welt. Unaufhörlich bewegen wir allein durch unseren Körper Teilchen, in uns aber auch außerhalb von uns. Wie können leibliche Wesen scheitern? In dem sie sterben. Aber das heißt, dass alle leiblichen Wesen scheitern. Nichts Lebendiges wärt ewig. Leibliche Wesen haben die Aufgabe oder vielmehr das Geschenk zu existieren. Was auch immer das für sie im Einzelnen bedeuten mag. Es wird abhängen von ihrer Umwelt, die sich ihnen nicht gleichgültig gegenüberstellen wird. Das ist gut, im Kontrast zu dieser Umwelt, kann ich Verantwortung für das eigene Existieren übernehmen. Und ich kann sagen: Ich will mich der Welt zumuten, auf dass ich im Kontrast erfahre, wer ich bin.

Jannik Howind, Witten 09.03.2022

Ein Kommentar

  • Andrea

    Hingabe!
    So wie die Vögel jeden Morgen die Sonne herbeisingen und die Sonne jeden Morgen aufgeht, obwohl sie- vielleicht- es auch sein lassen könnte…., aber sie tut es nicht. Sie gibt sich hin. Danke für dieses Hingabe- Manifest : D!

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