Kannst du "Nein" sagen?
Das ist jetzt wichtig! Kannst du „Nein“ sagen? Sie schaute mich mit zusammen gekniffenen Augenbrauen an.
Was meinst du, kannst du „Nein“ sagen?
Also, kannst du mir gegenüber „Nein“ sagen? Ihr Blick hatte sich nicht von der Stelle bewegt.
Eigentlich kann ich das schon, ja. Warum fragst du? Fragte ich etwas überrumpelt, ein bisschen neugierig war ich aber schon, was sollte das Ganze? Meine Frage überhörend, fuhr sie fort.
Ich frag dich jetzt was und du sagst „Nein“, selbst wenn du eigentlich „Ja“ sagen willst, ok?
Ja, sagte ich, zögerlich.
Bist du sicher?
Ja, sagte ich, diesmal schneller und lauter.
Sie schaute sich um, wie ein Künstler, der etwas sucht. Willst du dich mit mir dort drüben auf die Bank setzen?
Geradeso konnte ich die Worte unterdrücken und sagte mechanisch „Nein“.
Das war kein „Nein“, du wolltest eigentlich Ja sagen! Funkelte sie mich an. Sie durchschaute mich sofort.
Na, wenn du da so sicher bist, mach‘s besser, schoss ich etwas zu laut zurück.
Aber gern, erwiderte sie, wobei sie ein breites Grinsen nur knapp auf ihrem Gesicht unterdrücken konnte. Sie sah mich direkt an. Ich spürte Druck und hielt meinen Kopf auf sie gerichtet.
Lass erstmal ein paar Schritte gehen, und schon setzte ich mich in Bewegung.
„Nein“ sagte sie bestimmt, aber nicht unfreundlich. Ich will noch ein bisschen hier auf der Stelle stehen.
Warum? fragte ich unvermittelt. Die Stimmung drohte zu kippen.
Ich will noch ein bisschen hier auf der Stelle stehen, wiederholte sie in gleicher Konzentration. Dann lockerte sie sich und fragte mit heller Stimme, Na wie fandest du das?
Ja, das war ein klares „Nein“. Ich habe mich etwas zurückgesetzt gefühlt. Wie hast du das gemacht?
Ja, daran übe ich noch. Also dass das Nein mich festigt, aber dich nicht angreift. Bei manchen ist es sehr schwierig, Sie schien kurz abzuschweifen, ehe sie ihren Blick wieder fest auf mich richtete. Ein „Nein“, braucht ein „Ja“ dahinter, woran du glaubst, sagte sie eindringlich. Am einfachsten ist es den Stand, der gerade da ist, zu nehmen und fest zu bejahen. Das machen Menschen intuitiv, wenn sie sich streiten und sie aus Prinzip gegen den Vorschlag von jemand anderes sein müssen. Und du darfst nicht auf die Warum-Frage eingehen. Das schwächt nur deine Position. Wer etwas will, muss sich nicht rechtfertigen, sagte sie triumphierend.
Willst du es nochmal probieren? grinste sie.
Vielleicht später. Warum ist es dir so wichtig, dass ich dir gegenüber „Nein“ sagen kann?
Weil wir sonst gegenseitig Beschützer:innen spielen, ohne jemals vereinbart zu haben, dass wir das spielen. Menschen, die einander beschützen, dürfen einander nicht widersprechen, der jeweils andere ist unbedingt zu unterstützen, ständig hat der eine Angst, der andere drohe mit seiner ganzen Existenz unterzugehen, so ist jedem seiner Wünsche nachzukommen, nur das gibt ihm den Schutz, zu sein. Der Beschützer sieht den anderen als so schwach an, dass er vor seinem inneren Auge bereits sieht, wie sein „Nein“ den anderen so sehr verletzt, dass er sich nicht mehr davon erholen wird. Mit meinem „Nein“ traue ich dir zu, kraftvoll genug bei dir selbst zu sein, um mit meiner Abweisung umzugehen. Ich will, dass du für dich in unserer Begegnung einstehen kannst, deshalb ist mir das so wichtig. Geht es dir nicht ähnlich?
Unbemerkt hatten wir uns in Gang gesetzt. Ich nickte und ließ die Worte sinken.
Die Verpackung eines Müsliriegels hatte sich in einem Busch verfangen. Er trug erste Knospen. Kannst du „Ja“ sagen, schoss es mir durch den Kopf. Kannst du mir gegenüber „Ja“ sagen, zu irgendetwas, dass du willst? Ich drehte meinen Kopf und hörte mich ein Gespräch ansetzen. Das ist jetzt wichtig!
Jannik Howind, Witten 13.03.2023