All of us Strangers
All of us Strangers (2023)
Regie: Andrew Haigh
Drehbuch: Andrew Haigh
Der Inbegriff einer kompletten Drehbuchverfilmung. Dieser Film ist psychologisch, gefüllt mit einer Zeit-, Zustands- und inceptionesken Traumreise, die ein unverhofftes und nach kurzem Zögern sehr rundes Ende findet. Es geht um Adam, dessen Eltern bei einem Autounfall als er zwölf war, ums Leben kamen. Nach einer Jugend, in der er seine Homosexualität entdeckte, ist er mittlerweile in seinen 30ern angekommen und Schriftsteller für Filme und wenns sein muss auch Serien. Bei „All of us Strangers“ verschwimmt die Distanz von Drehbuch und Drehbuch, von Film und Verfilmung. Ich habe nicht einen Film erlebt, der eine Realität vorgaukelt, sondern einen Film, der selbst der Film im Kopf eines Menschen ist, den wir so nie zu Gesicht bekommen. Damit wagt Andrew Haigh etwas, was ich in diesem Ausmaß noch nicht gesehen habe. (Die Filme „Identity“ oder „Shutter Island“ kommen mir als erstes als nächster Vergleich in den Sinn, aber sie gehören einem anderen Genre an.) Auch wenn der Film wunderschöne Szenen von körperlicher und menschlicher Nähe einfängt, will er keine queere Liebesgeschichte sein. (Was das Plakat, auf dem Paul Mescal und Andrew Scott zu sehen sind, andeuten könnte.) Es ist eine Liebesgeschichte an eine traumatisierte Psyche, die ihren Weg sucht heraus aus der Stille und dem Allein-hinter-Glas-Sein, die einen Weg sucht, ihre Vergangenheit anzunehmen und die ihren Weg findet zurück unter den Sternenhimmel, als ein Mensch unter vielen und als jemand, der für sich und andere da sein kann. Fesselndes Schauspiel, sinnlich-nahe ruhige Kameraeinstellungen, ein spannungsvoller Soundtrack und eine stimmige Filmsongauswahl runden diese tiefe und bewegende Roman-Erfahrung ab.
Jannik Howind, Witten 07.03.2024