Über Regeln
Ab heute will ich jeden Tag Sport machen. Warum immer diese Ewigkeitsversprechen? Wer eine Regel etablieren will, muss sich auf den lebendigen Prozess einlassen, in den jedes Verhalten immer schon eingebettet ist. Er muss auf die Gelegenheit warten, einen ersten Schritt im Sinne der Regel zu tun, z. B. morgens Joggen zu gehen, und dann auf die Gelegenheit für einen zweiten, dann dritten Schritt usw. warten und diese Gelegenheiten in einem Akt des Willens ergreifen. Diesen Akt interessiert nicht, ob das Verhalten Teil einer (sich gedachten) ewigen Regel ist oder nicht. Diesen Akt interessiert nur, ob er im Hier und Jetzt getan wird. Wird er getan, so ist die Welt nachher eine andere. Wird er nicht getan, so ist die Welt nachher ebenso eine andere. Wer ein Gebäude baut, der denkt sich, dass es schön wäre, das fertige Gebäude zu haben, aber er täuscht sich nicht darin, dass er Stein auf Stein legen muss, dass es ein Prozess ist, an dessen Ende die fertige Regel steht, nicht an dessen Anfang. Durch unser Handeln in der Welt bauen wir wie ein Steinmetz, nur dass unser Baustoff nicht aus Stein, sondern aus einzelnen Entscheidungen und aus den durch diese gewebten Mustern besteht. Eine Regel zu weben, ist ein Prozess, der viel Arbeit, Schweiß, Pech und Glück bedeutet. Die gedachte Regel mit der wirklichen Regel zu verwechseln ist ein üblicher Fehler so scheint es. Neujahresvorsätze sind ein Wort, das jeder kennt, obwohl doch jeder Tag Neujahr ist. Wir weben jeden Tag und jeden Augenblick an den Regeln, die unser Leben ausmachen.
Jannik Howind, Roskilde 03.10.2022