Auf dem Rastplatz an der Grenze von Thüringen zu Bayern. A7. Wir sind bereits in der Verabschiedung, da fragt H., der sich mit Neugierde zu mir in den Schatten des Omnibus gestellt hatte, woraus ein schönes Gespräch wurde, ob er mir noch etwas erzählen darf. Ich willige mit einem Blick zu Werner, der noch beschäftigt und noch nicht losfahren müssend erscheint, und einer Interesse bekundenden Wendung des Kopfes zu H. ein. H. beginnt nun, mir in einfachen, klaren Worten seine Lebensgeschichte vom Obdachlosen zum glücklichen Arbeitnehmer als Spediteur in einer schönen Partnerschaft zu erzählen. Er schwärmt von seinem verständnisvollen und doch strengen Chef, dem auch die Weiterbildung seiner Arbeitnehmer am Herzen liegt. Sie brauchen auch etwas für den Kopf, paraphrasiert H. Das sieht er und wenn einer durch eine Prüfung fällt, dann versucht er’s eben nochmal solange die Prüfung es zulässt. Alles finanziert vom Chef.

Als H. obdachlos war, wurde er von einer Zeitung im Norden Deutschlands interviewt. Einige Jahre später kam er mit seinem LKW wieder in den Norden. Die Zeitung druckte seine Geschichte auf der Titelseite ab. H. strahlt. Er weiß, wie es den allermeisten auf der Straße geht. Sie sind verzweifelt, trauen sich nichts zu und hängen von Kompensationsmitteln ab, die ihnen das letzte halbwegs stabile Glücksgefühl im Leben geben. Er hofft, dass seine Geschichte anderen Mut machen kann, dass sie sehen können, dass einem geholfen werden kann, dass man es schaffen kann. Voraussetzung für ihn ist: Wenn du deinen Kopf in den Sand steckst, dann kommt noch einer und tritt dir in den Arsch! Also steck deinen Kopf niemals in den Sand. Nutze deine Sinne und dir wird geholfen! H. beschreibt, wie er selbst durch die Untervermietung einer kleinen Wohnung, einem gerade ausgewachsenen von Drogen abhängigen jungen Menschen hilft. Erst war die Wohnung für das Sozialamt 30 € zu teuer, dann wurde die Grenze um 50 € erhöht. H. leitete sofort alles in die Wege und jetzt lebt sie glücklich, seine Möbel in Raten abzahlend in der Wohnung mit Hoffnung in der Luft und Wärme im Körper. Zum Abschied vertraut mir H. seinen Namen an, sodass ich den Artikel über ihn finden kann. Sie haben das „z“ in meinem Nachnamen vergessen, gibt er mir noch als Hinweis mit. Ich frage ihn, ob er das Infoheft vom Omnibus will. Er nickt. Das gebe ich ihm mit.

Beherzt trennen sich unsere Wege. Eine Begegnung wie ein Geschenk. Selten fühlte ich so stark die Besonderheit, die es doch ist, wenn sich ein Mensch einem anderen öffnet, wie eine Blume, die ihre Blüten weitet und mir einen Blick in ihr Inneres gestattet.

 

Update 12.09.2024: Mittlerweile habe ich freundlicherweise von der besagten Zeitung, der SHZ, den Artikel über H. als pdf bekommen: Heinz Lentzsch in Flensburg_ Vom Obdachlosen zum Lkw-Fahrer _ SHZ